Zeichnen mit PANDA Abb 1
Zeichnen mit PANDA Abb 2
Zeichnen mit PANDA Abb 3
Zeichnen mit PANDA Abb 4
Zeichnen mit PANDA Abb 5

Zeichnen mit PANDA – ein künstlerisches Experiment

Gertrud Schrader, 2019

Das künstlerische Experiment Zeichnen mit PANDA fand 2019 im Rahmen des an der TU-Berlin von der Soziologin Pat Treusch geleiteten Forschungsprojekts Träumen Roboter vom Stricken? Neucodierungen der Zusammenarbeit zwischen Roboter und Mensch[1] statt. Laut Treusch ist die Besonderheit ihres Projektes, dass es sich nicht ausschließlich diskursiv, sondern auf der Ebene der Interaktion bewegt.[2] In diesem Kontext sind die kollaborativen Strickexperimente mit dem von der Firma TQ-Systems GmbH entwickelten Roboterarm PANDA zu sehen.[3]

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Stricken ist eine analoge Kulturtechnik, deren Ausführung eine stehts identische Wiederholung von eindeutig festgelegten Einzelschritten voraussetzt. Diese können in Formen notiert werden, die mathematischen Aufzeichnungen äquivalent sind. In dem genannten Forschungsprojekt Träumen Roboter vom Stricken? Neucodierungen der Zusammenarbeit zwischen Roboter und Mensch vollführt der Roboterarm PANDA in der kollaborativen Strickbewegung eine Imitation der menschlichen Strickbewegungen: Eine am Roboter befestigte Stricknadel wird also derart bewegt, dass in Kooperation mit einer zweiten von menschlicher Hand geführten Nadel gestrickt werden kann. Die Besonderheit hinsichtlich des kollaborativen Strickprozesses mit dem Roboterarm PANDA liegt also darin, dass hier die Einzelschritte einer menschlichen Strickbewegungen programmiert sind und von dem Roboterarm ausgeführt werden. Nur so kann ein kollaborativer Strickprozess mit PANDA ermöglicht werden. Das rein maschinelle Stricken folgt ebenso wie das manuelle den Algorithmen des jeweiligen Strickmusters, hier sind die einzelnen Strickschritte jedoch grundsätzlich anders aufgebaut, als tradierte menschliche Strickbewegungen: Zum Zweck der Automatisierung von Strickprozessen wurden tradierte manuelle Stricktechniken grundlegend transformiert, so dass Strickmaschinen eine völlig andere Vorgehensweise bei der Erstellung von Strickwaren zugrunde liegt.

Treusch führt zu ihrem Forschungsvorhaben aus: „Das interdisziplinäre Projekt Träumen Roboter vom Stricken? Neucodierungen der Zusammenarbeit zwischen Roboter und Mensch will sich diesem Thema nicht rein diskursiv, sondern auf Ebene der Interaktion annähern. Zum einen geht es darum, performativ-experimentell verschiedene Formen der Zusammenarbeit an der Schnittstelle Mensch und Roboter zu evaluieren. Zum anderen sollen vor dem Hintergrund einer feministischen Technowissenschaftsforschung grundlegende symbolische Ordnungsschemata unserer Gesellschaft, welche Menschen, Dinge und Sphären entlang soziokultureller Kategorien (Geschlecht, Rasse, Klasse usw.) hierarchisch ordnen, aufgebrochen werden.“[4]

Die in dem Forschungsprojekt fokussierte Ebene der Kollaboration von PANDA und Mensch wird in dem Experiment Zeichnen mit PANDA aus künstlerischer Perspektive und im Folgenden in Bezug auf die Frage nach den involvierten Agierenden und möglichen Besonderheiten dieser Intra-aktiven Prozesse ausgelotet. Wer oder was gestaltet im Rahmen des künstlerisch-experimentellen Zeichenprozesses? Und welche Denkmuster werden in diesem Prozess wirksam?

Zeichnen mit PANDA – ein künstlerisches Experiment

Zur Durchführung des Experiments Zeichnen mit PANDA befestige ich an dem Greifer des Roboterarms einen Zeichenstift. Ich zeichne mit PANDA, indem ich einen auf festem Untergrund befestigten Bogen Papier so halte, dass die gemäß dem Strickprogramm ausgeführten Bewegungen des Roboterarms PANDA nun mit dem Stift eine Linie auf dem Papier hinterlassen – gewissermaßen eine Spur der Strickbewegungen als schwarze Linie auf weißem Grund. Dieses kollaborative Zeichnen wird mehrfach wiederholt.

Die so entstandenen Linien wirken wie Variationen von krickelig wirkenden Zeichnungen, die durch relativ eckige Bewegungen hervorgebracht wurden. Diese Zeichnungen weisen große Ähnlichkeiten auf, sie sind jedoch ganz augenscheinlich niemals miteinander identisch. Diese Einzigartigkeit jeder Linie scheint nun jedoch dem algorithmisierten Charakter des Strickprozesses, der den Bewegungen zugrunde liegt, zu widersprechen. Die Linien auf dem Papier werden paradoxerweise zu Unikaten, da das Befolgen der eineindeutig festgelegten Bewegungsmuster nicht exakt zu gelingen scheint. In Anlehnung an Joseph Weizenbaum kann der Roboterarm PANDA als automatische Maschine angesehen werden, deren Eigenart die unerbittlich gleiche Wiederholung der Regeln ihres Ablaufs darstellt.[5] [6] So gesehen scheinen hier die Ungleichmäßigkeiten der Linien durch eine Fehlerhaftigkeit der menschlichen Bewegungen verursacht zu sein. Demgegenüber steht jedoch das Phänomen, dass Menschen, wenn sie nicht in einem kollaborativen Prozesse mit PANDA stricken, bei ausreichendem strickhandwerklichem Können, durchaus gleichmäßige Strickprodukte erstellen – hier also die Anforderungen der Algorithmen zu erfüllen scheinen.

Zur Reflexion des künstlerischen Experiments betrachte ich die Verwobenheiten der hier wirksamen Ebenen in einer Analogie zu dem von der theoretischen Physikerin und Wissenschaftstheoretikerin Karen Barad entwickelten Konzept des Agentiellen Realismus.[7] Barad hebt darin die Bedeutung und Wirkmächtigkeit sowohl der Materialität als auch vielschichtiger diskursiver Verwobenheiten in (naturwissenschaftlichen) Experimenten (einschließlich ihrer Konzeption) und Erkenntnisprozessen hervor. Das prozessuale aufeinander-Wirken dieser verschiedenen Agierenden im Rahmen eines Experiments bezeichnet sie als Intra-Aktion in Abgrenzung zu dem Begriff der Interaktion, welcher dualistisch Entitäten voraussetzt.[8]

Konzeptionell basiert das künstlerische Experiment Zeichnen mit PANDA auf dem Transfer vom Stricken zum Zeichnen, indem die Stricknadel durch einen Zeichenstift ersetzt wird. Weiter findet eine Kollaboration mit mir als Handelnder statt, indem ich das Papier so an dem Stift bewege, dass die Zeichnungen entstehen. Diese Linien als Produkte des künstlerischen Experiments sind nicht als Abbild eines Motivs oder einer Bewegung der Hand mit dem Stift anzusehen. In der Kunst tradierte Deutungsmethoden erreichen die reflexive Ebene dieser Zeichnungen nicht. Als Bestandteile des künstlerischen Experiments verweisen sie, wie ich im Folgenden ausführe, auf die Verwobenheiten der unterschiedlichen Agierenden, die in dem Experiment im Sinne Barads intra-agieren. So werden deren kulturelle Implikationen und Wirkmächtigkeiten in diesem Experiment evident. Das künstlerische Experiment ist als Ganzes zu betrachten und es ist nach den in ihm wirksamen Ebenen, den Materialien und impliziten Konventionen zu fragen.

PANDAs Bewegungen vollziehen die Bewegungen menschlicher Akteur*innen entsprechend der analogen Kulturtechnik des Strickens. Ich bin als weitere Agierende im kollaborativen Bewegungsprozess dennoch mit einem veränderten Strickprozess konfrontiert. Die Programmierung PANDAs zur Ausführung der menschlichen Strickbewegungen weist das Charakteristikum auf, dass PANDA einerseits im Analogen tradierte Bewegungsabläufe ausführt und zugleich als eine autonome Maschine anzusehen ist[9], die einmal in Gang gesetzt die immer gleichen Schritte ohne eine Abweichung vollzieht.[10]. Die Verwobenheiten von PANDA und mir als Agierende sind als eine Art wechselseitiger analog-digitaler Verzahnung zu charakterisieren. Als autonome Maschine agiert Panda immer gleich, die einzige Ausnahme bildet der programmierte Sicherheitsstop, der aktiviert wird, wenn der Bewegung ein bestimmter Widerstand entgegentritt. Ich muss den Bewegungen des Roboterarms also sensibel genug folgen, andernfalls funktioniert das absichtsvolle Erstellen der Linien nicht. Entweder endet der Zeichenprozess aufgrund eines Sicherheitsstops PANDAs, der bei zu starkem Kontakt ausgelöst wird, oder das Papier berührt den Stift nicht. In beiden Fällen ist der Zeichenprozess beendet. Hier wird von mir als Agierender eine Art Digitalkonformität eingefordert. Im Sinne eines Funktionierens in Hinblick auf das Erstellen eines Produkts wäre meinerseits eine absolute Verkörperung oder Materialisierung des algorithmischen Bewegungsvorgangs notwendig. Das Phänomen, dass keine zwei Zeichnungen identisch sind, nicht einmal zwei der eckigen Schleifen innerhalb einer Zeichnung, verweist darauf, dass dieses Synonymisieren der menschlichen und der Roboterbewegung nicht funktioniert. Die identisch wiederholten Bewegungen des Roboterarms werden nicht ebenso identisch gekontert. Der Transfer vom Analogen ins Digitale entfaltet hier eine spezielle Wirkmacht, die in den nichtidentischen Linien evident wird.

Obgleich tradierte Strickmuster als Algorithmen für die Herstellung gleichförmig erstellter Strickerzeugnisse dienen, ist hier im Zusammenspiel mit den 100% identisch wiederholten Bewegungen des Roboters ebendiese Gleichmäßigkeit nicht zu erreichen. Hier werden Differenzen der digital automatisierten maschinellen Bewegung und des menschlich körperlichen Ausführens der Strickanweisungen / des Zeichnens deutlich. Das menschlich-körperliche Befolgen eines Programms würde offensichtlich auf anderen Wegen zu einer gleichmäßig sich wiederholenden Zeichnung führen, als das der digitalen Maschine PANDA. Deutlich wird, dass die menschliche Bewegung sich nicht stets identisch wiederholt. In der Koordination der Bewegungen beider Hände bzw. Stricknadeln werden im Bewegungsfluss die jeweiligen Abweichungen der einen Seite von der anderen ausgeglichen. Ein sehr komplexer, stehts variierender Vorgang, der im menschlichen Strickprozess unbewusst ausgeführt wird. Handwerkliche Geschicklichkeit verknüpft Feinmotorik und komplexe Ausgleichprozesse in Bezug auf die Regelmäßigkeit der Bewegungen. Das Experiment Zeichnen mit Panda lässt hier eine Differenz zwischen digitaler automatischer Maschine und menschlichen Bewegungen evident werden. Die programmierbaren, automatisierten stets identischen Bewegungsabläufe von PANDA sind keineswegs gleichzusetzen mit denen der menschlich körperlichen Bewegung. Die aus den unregelmäßigen krickelig wirkenden Zeichnungen zunächst gedeutete geringere Perfektion der menschlichen Bewegung kann nur in Bezug auf den kollaborativen Prozess festgestellt werden, diese Wertung lässt sich nicht auf den eigentlichen menschlichen Strickprozess übertragen.

In dem kollaborativen Prozess werden jedoch die Bewegungsform des Roboterarms zur Norm erhoben. Da PANDA als automatische Maschine sozusagen nicht anders kann, als die Bewegung immergleich durchzuführen, wird in Bezug auf das Gelingen der Herstellung eines regelmäßigen Produkts diese Gleichförmigkeit der Bewegung – nicht also die des Produktes – zur Voraussetzung und zum Maßstab für ein Gelingen. Hinsichtlich der den Bewegungen zugrunde liegenden Konventionen und Denkmuster zeigt das künstlerische Experiment Zeichnen mit PANDA, dass in dem kollaborativen Prozess eine Hierarchisierung entsteht. Das Intra-Agieren im Sinne Barads geschieht nicht egalitär. Die Potentiale der komplexen menschlichen Strickbewegungen können sich hier in keiner Weise entfalten, denn die automatische gleichförmige Bewegung des programmierten Roboterarms wird zum Maßstab. Betrachtet man die jeweiligen impliziten Schemata des Zugangs zur Strickbewegung bzw. Produktion von Strickwaren, so geriet hier das komplexe handwerklich Trainierte zur Störung oder Fehlerquelle, wogegen die maschinelle Ausführung der Algorithmen perfekt erscheint. Die im Grunde mit einer geringeren Komplexitätsfähigkeit ausgestattete Bewegung des Roboterarms wird zur dominanten, da nur in genau dieser Eindimensionalität der immer gleichen Ausführung der Bewegung die Intra-aktion möglich ist. Auch in diesem an einer handwerklichen Produktion, dem Stricken, orientierten Experiment werden den digitalen Technologien eingeschriebene Machtmechanismen evident, die Dieter Mersch, in Anlehnung an den Begriff der Instrumentellen Vernunft, mit dem Begriff der „algorithmischen“  Vernunft[11]  bezeichnet.

Im Rahmen dieser experimentellen Situation werden in Bezug auf kollaboratives Agieren Machtpotienzale evident, die in Hinblick auf unseren von digitalen Technologien durchwobenen Alltag zu einem kritischen Befragen der jeweiligen Intra-Aktionen auffordern sollten: Welche Gestaltungs- und Machtpotentiale sind den jeweiligen Agierenden im gesellschaftlichen Alltag zu zuschreiben, und in welchen Bereichen wären welche Dominanzen erstrebenswert?[12]

 

[1] Vgl. Pat Treusch. Robotic Knitting. Re-Crafting Human-Robot Collaboration Through Careful Coboting. Bielefeld 2021
[2] https://www.pressestelle.tu-Berlin.de/menue/tub_medien/publikationen/medieninformationen/2018/oktober_2018/medieninformation_nr_1942018/ zuletzt aufgerufen am 20.12.2020
[3] Die Firma preist auf ihrer Website insbesondere die innovativen 7-Achsen-Technologie PANDAs an, versehen mit Drehmomentsensoren in jeder Achse und bezeichnet PANDA als einen der sensitivsten Roboter, welcher sich in allen denkbaren Industrieanwendungen perfekt einsetzen lasse. Siehe: https://www.tq-group.com/de/produkte/tq-robotics/robotics-for-automation/?utm_source=Google Ads&utm_date=44134&utm_medium=cobots&utm_term=&utm_content=&utm_campaign=Automatisierung mit Cobots&gclid=EAIaIQobChMI2N-m79zc7QIVULvVCh3WQQxpEAAYASAAEgLrIfD_BwE, zuletzt aufgerufen am 20.12.2020
[4] https://www.pressestelle.tu-berlin.de/menue/tub_medien/publikationen/medieninformationen/2018/oktober_2018/medieninformation_nr_1942018/ zuletzt aufgerufen am 20.12.2020
[5] Vgl. Joseph Weizenbaum. Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft. Frankfurt am Main. 1994.
[6] Joseph Weizenbaum legt als wesentliches Merkmal von Maschinen deren stets identische Ausführung der Regeln, die sie verkörpern, dar. Siehe: ebda. Seite 44-45 und Seite 67
[7] Vgl. Karen Barad, „Real werden, Technowissenschaftliche Praktiken und die Materialisierung der Realität“ in: Katrin Peters, Andrea Seier (Hg.), Gender&Medien-Reader, Zürich 2016, S. 531.
[8] Vgl. ebd., S. 531.
[9] Vgl. Joseph Weizenbaum, Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, Frankfurt am Main, 1994, S. 44, 45.
[10] Vgl. ebd. S. 45.
[11] Vgl. Dieter Mersch. Digital Criticism. Für eine Kritik „algorithmischer“ Vernunft. In: Diaphanes Webmagazin 3/12 2017. S. 94-99.
[12] Vertiefendes zu diesem Spannungsfeld siehe: Gertrud Schrader. Kunst und Wissenschaft als parallele Erkenntnisformen – Technologien und Prozesse der Digitalisierung aus philosophischer und künstlerischer Perspektive. 2022.